Resümee

Was tut sich international im Strahlenschutz?

Die Wissenschaft arbeitet, wie der Beitrag zum europäischen Forschungsverbund PIANOFORTE von Florian Rauser und Koautorinnen zeigt, an neuen Erkenntnissen zu Medizin und Gesundheitsauswirkungen von ionisierender Strahlung, dem Katastrophen- und Bevölkerungsschutz, der Wirkung von Strahlung auf Ökosysteme und die Umwelt sowie den beruflichen Strahlenschutz im medizinischen und industriellen Bereich. Die Nutzung neuer Techniken, wie der KI, wird sich auch im Strahlenschutz etablieren.
Ein in den vergangenen Jahren sehr dynamisch gewachsenes Feld des Strahlenschutzes betrifft den Schutz vor Expositionen durch Radon (und seine Zerfallsprodukte). Franz Josef Maringer stellt in seinem Beitrag die Ergebnisse des Forschungsprojekts MetroRADON (Metrology for radon monitoring) vor. Dieses europäische Projekt schuf Grundlagen für Radon-Messungen im unteren Aktivitätskonzentrationsbereich und Methoden zur vereinheitlichten Kartierung des geogenen Radon-Risikos und damit auch für eine Verbesserung des Radon-Schutzes der Bevölkerung und von Arbeitskräften in Europa.
Wie diese und andere weltweit erarbeitete neue Erkenntnisse den Stand der Wissenschaft verändern (oder bestätigen), davon berichtet Rolf Michel in seinem Beitrag über UNSCEAR. Das United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiation (UNSCEAR) wertet seit 1955 wissenschaftliche Arbeiten zu Quellen ionisierender Strahlung, dadurch verursachte Expositionen sowie Effekte und Risiken der Strahlung für die menschliche Gesundheit und die Umwelt aus. Damit wird eine unabhängige, objektive und aktuelle wissenschaftliche Grundlage für den Strahlenschutz geschaffen. In einem neuen, bahnbrechenden wissenschaftlichen Bericht, der im Mai 2024 gebilligt wurde, werden die Risiken untersucht und bewertet, nach einer Strahlentherapie einen zweiten primären Krebs zu entwickeln.
Strahlenschutz basiert zwar auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, bedarf aber gesellschaftlicher Wertsetzungen und eines umsetzbaren Handlungsrahmens. An diesen Aufgaben arbeitet die ICRP seit 1928 und derzeit in einem offenen Dialog mit allen interessierten Gruppen. Werner Rühm berichtet darüber in seinem Beitrag über die Überprüfung des Strahlenschutzsystems, die insbesondere auch die Weiterentwicklungen der sozialen Werte und der Risikowahrnehmung der Gesellschaft berücksichtigen soll.
Auch wenn die US-amerikanische Strahlenschutzcommunity auf vielfache Weise mit dem internationalen Strahlenschutz verflochten ist und in internationalen Gremien oft führend mitarbeitet, ist der Strahlenschutz in den USA eine eigene Welt. Andrew Karam schildert diese Welt anschaulich in seinem Beitrag. Er reißt dabei auch die Diskussionen um den LNT-Ansatz an, der in einem Schwerpunktheft der Health Physics (Band 126(6) June 2024) mit mehreren Beiträgen beleuchtet wurde.
Ob die Normen und Vorschriften der kommenden Jahrzehnte den LNT-Ansatz aufweichen oder (wie einige fordern) aufgeben, dafür sind die regelsetzenden Institutionen zuständig.
10 Jahre nach der Veröffentlichung der EU-Strahlenschutzgrundnormen wurden diese Normen in nationales Recht in den EU-Mitgliedstaaten eingeführt und bilden die Grundlage für ein sehr hohes, modernes, aber auch robustes Niveau an Strahlenschutz. Wie Stefan Mundigl in seinem Beitrag ausführt, führen wissenschaftliche und technologische Entwicklungen bei der medizinischen Anwendung ionisierender Strahlung, die Nutzung der künstlichen Intelligenz oder die Entwicklung neuer Technologien zur Energieerzeugung (SMRs, Fusionsreaktoren) zu einer Notwendigkeit, die bestehenden Regelungen weiterzuentwickeln.
Die Praxis ist das Kriterium der Wahrheit, hat einst ein Philosoph behauptet. Welche Entwicklungen im praktischen Strahlenschutz stattfinden, darüber schreiben aus ganz unterschiedlichen Perspektiven:
Fernand Vermeersch (Europäisches ALARA-Netz; EAN) über Aspekte der praktischen Implementierung des Optimierungsgrundsatzes.
Christian Kunze, Lonneke van Bochove, Rob Wiegers und Stéphane Pepin (European NORM Association, ENA) über die sich ändernden Interessenfelder in der europäischen NORM-Community.
Boris Dehandschutter, Valeria Gruber, José-Luis Gutiérrez Villanueva (European Radon Association; ERA) über Strahlenschutzaufgaben für Radon, die in den nächsten Jahren bzw. im nächsten Jahrzehnt besonders wichtig sein werden.
Cameron Jeffries (IRPA EC) über einige besonders relevante Entwicklungen im Strahlenschutz im Großraum Asien/Ozeanien.
Francis Otoo und Estiner Katengeza über die vielen praktischen Herausforderungen für den Strahlenschutz bei natürlich vorkommender Radioaktivität in Afrika.

Die Vorträge und Poster der IRPA-16-Konferenz in Orlando zeigten, dass sich der Strahlenschutz international in einer sehr dynamischen Phase befindet. Thomas Steinkopff und Rainer Gellermann reflektieren ihren ersten Eindruck von diesen Entwicklungen. Dazu gehören auch Bestrebungen, den Strahlenschutz von NIR und IR in einen einheitlichen Rahmen zu stellen. Dass diese Aufgabe nicht ganz einfach wird, zeigt der Fachbeitrag von Hans-Dieter Reidenbach.
Unsere Strahlenschutzwelt ist vital und in Bewegung. Die vorliegende StrahlenschutzPRAXIS beleuchtet einige Facetten in diesem sich verändernden Umfeld. Den Strahlenschutz auch weiterhin auf dem bereits erreichten Niveau zu halten, erfordert aber nicht nur Wissenschaft und Technik, praxistaugliche Regelungen und hohe Erwartungen, sondern vor allem kompetente Menschen, die in der Lage sind, die Aufgaben umzusetzen und die Erwartungen zu erfüllen. Alisia Jaros, Lisa Simon und Werner Rühm beschreiben in ihrem Beitrag die beträchtlichen Herausforderungen, die mit dem Kompetenzerhalt und der Kompetenzentwicklung im Strahlenschutz verbunden sind.
Leider ist es mir nicht gelungen, einen Beitrag aus dem weiten Feld der NIR-Community zu erhalten. Die Leiter der IRPA-Task-Group NIR, Alexandre Legros und Julien Modolo, werden aber 2025 in einem Beitrag darüber berichten.
Als „Kümmerer“ dieses Schwerpunktthemas möchte ich abschließend allen Autorinnen und Autoren danken, die sich auf meine Bitte hin sehr kooperativ zeigten und ihre Beiträge fristgerecht übersandten.

Rainer Gellermann