Strahlenschutz bei nichtionisierender Strahlung − Wie kommunizieren wir Risiken beim Mobilfunk?
Die Arbeit im AKNIR soll exemplarisch am Beispiel der Kommunikation möglicher Risiken beim Mobilfunk dargestellt werden, da hier eine besondere gesellschaftliche Herausforderung im praktischen Strahlenschutz bei nichtionisierender Strahlung vorliegt.
Strahlenschutz im Mobilfunkbereich
Beim Strahlenschutz im Mobilfunkbereich muss man 2 Bereiche unterscheiden, und zwar zum einen denjenigen des Arbeitsschutzes und zum anderen die Belange der Allgemeinbevölkerung.
1. Arbeitsschutz
In Deutschland wurde 2016 die europäische Richtlinie 2013/35/EU (EMF-RL) [1] in die Arbeitsschutzverordnung zu elektromagnetischen Feldern (EMFV) [2] transponiert. Deren Konkretisierung erfolgte in den Technischen Regeln zur Arbeitsschutzverordnung zu elektromagnetischen Feldern (TREMF) [3]. Dabei geben die 3 Teile der TREMF den Stand der Technik, Arbeitsmedizin und Arbeitshygiene sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zum Schutz der Beschäftigten vor Gefährdungen durch elektrische, magnetische und elektromagnetische Felder (EMF) wieder.
Bei Einhaltung dieser Technischen Regeln kann der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin davon ausgehen, dass die entsprechenden Anforderungen der Verordnung EMFV erfüllt sind, d.h., es liegt eine verordnungsrechtliche Vermutungswirkung vor.
Der Arbeitskreis „Nichtionisierende Strahlung“ (AKNIR) deckt in seinem Bereich ein breites Spektrum im Strahlenschutz ab. Die wesentlichsten Gebiete werden dazu in seinen Leitfäden zu den Themen „Inkohärente Ultraviolette Strahlung von künstlichen Quellen“, „Inkohärente Sichtbare und infrarote Strahlung von künstlichen Quellen“, „Laserstrahlung“, „Lichteinwirkungen auf die Nachbarschaft“, „Sonnenstrahlung“ (wird aktuell überarbeitet) und „Elektromagnetische Felder“ dargestellt. Darin werden u.a. die physikalischen Grundlagen und der derzeitige wissenschaftliche Erkenntnisstand über die biologischen Wirkungen der einzelnen Teilbereiche vermittelt. Darüber hinaus werden die zulässigen Expositionsgrenzwerte (EGW) und durchzuführende Schutzmaßnahmen aufgeführt. Die über die Internetseiten des Fachverbandes für Strahlenschutz (FS) abrufbaren Leitfäden sollen sowohl den im Arbeitsschutz tätigen Experten als auch jedermann in der Allgemeinbevölkerung die notwendigen Hilfestellungen geben, um sich über das jeweilige Thema sachlich zu informieren, erforderlichenfalls die notwendigen Schutzmaßnahmen zu ergreifen, aber auch die mitunter von anderer Seite geschürten Ängste in der Öffentlichkeit vor nichtionisierender Strahlung durch sachliche Informationen zu relativieren, und zwar auf der Grundlage des Standes von Wissenschaft und Technik.
Bezugnehmend auf den Mobilfunk dient der in den Technischen Regeln TREMF HF [4] dargelegte Stand der Technik dem Schutz der Beschäftigten vor Gefährdungen durch elektromagnetische Felder im Frequenzbereich von 100 kHz bis 300 GHz, also im Hochfrequenzbereich, wo Wärmewirkungen charakteristisch sind.
Für den Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin bedeutet dies, dass er bzw. sie bei Einhaltung der zutreffenden Festlegungen die Anforderungen der EMFV erfüllt hat.
Hierzu müssen die Wirkungen von EMF auf Menschen und das Arbeitsumfeld sowie das Schutzkonzept der RL und der EMFV berücksichtigt werden. Es ist insbesondere eine Gefährdungsbeurteilung, d.h. eine Ermittlung und Bewertung anhand der Grenzwerte unter Einbeziehung besonders schutzbedürftiger Personen (z.B. Implantat-Trägerinnen und -träger usw.) durchzuführen.
Tatsächliche Gefährdungen nach §1 Absatz 1 EMFV liegen vor, wenn bei beruflicher Exposition durch EMF EGW überschritten sind oder ein sicheres Arbeiten nicht möglich ist, z.B. aufgrund indirekter Wirkungen.
Liegt keine Einhaltung der EGW vor, sind Maßnahmen zur Vermeidung oder Verringerung der Gefährdung durch EMF unverzüglich zu ergreifen.
Hinweis
Festzuhalten ist, dass die Begrifflichkeit „Risiko“ insoweit im Arbeitsschutz nicht vorkommt, d.h., mithin muss man weder deren mathematische Definition des Produktes aus „Eintrittswahrscheinlichkeit und Schwere (Ausmaß) des Ereignisses“ noch Fragen nach einem Restrisiko betrachten, also auch nicht, ob ein bestimmtes Risiko (noch) akzeptabel oder tolerabel ist.
Insbesondere gilt es zu beachten, dass es sich bei der RL 2013/35/EU um darin angegebene Mindestvorschriften zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch physikalische Einwirkungen (elektromagnetische Felder) handelt, d.h., die Mitgliedsstaaten der EU haben diese mindestens einzuhalten, können aber in ihren einzelstaatlichen Regelungen darüber hinausgehen.
Fazit
In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die TREMF z.B. EMF-Quellen nennen, für die es keiner weiteren Bewertung bedarf und Auslöseschwellen (festgelegte Werte von direkt messbaren physikalischen Größen; Auslösung von Maßnahmen zur Vermeidung oder Verringerung der Gefährdungen von Beschäftigten durch elektromagnetische Felder) für besonders schutzbedürftige Personen (Freiheit von störenden Interferenzen) ausweisen sowie ein sogenanntes Zonenkonzept für eine möglichst einfache Ableitung von Schutzmaßnahmen beinhalten.
Bei Sendeanlagen des Mobilfunks ist außerhalb des geforderten Sicherheitsabstandes gemäß Standortbescheinigung der Bundesnetzagentur keine Bewertung erforderlich. Dies gilt auch bezüglich einer individuellen Bewertung für Träger aktiver und/oder passiver Implantate.
2. Allgemeinbevölkerung
In Deutschland haben wir regulatorisch das Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) [5] und im Hinblick auf Hochfrequenz die 26. Bundes-Immissionsschutz-Verordnung (26. BImSchV) [6] in der Neufassung vom 14.8.2013 sowie die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Durchführung der 26. BImSchV (26. BImSchVVwV) [7]. Es geht dabei um die Errichtung und den Betrieb von Hochfrequenzanlagen, NF- und Gleichstromanlagen. Dabei wird, soweit es die einzuhaltenden Grenzwerte betrifft, der Bezug auf die EU-Ratsempfehlung 1999/519/EG [8] genommen.
Von besonderem Belang ist es, ab welcher Exposition hochfrequente elektromagnetische Felder, denn um solche handelt es sich beim Mobilfunk – also dem Frequenzbereich von ca. 700 MHz bis aktuell ca. 3 GHz (zukünftig dann wohl auch bei einigen 10 GHz) – , sogenannte „adverse“ oder nachteilige gesundheitliche Effekte und mithin Risiken verursachen können.
Nach derzeitigem Kenntnisstand, und zwar demjenigen der Wissenschaft, ist bei Einhaltung der Grenzwerte der Schutz der Gesundheit der (Allgemein-)Bevölkerung auch bei Dauereinwirkung gewährleistet. Letzteres zu beweisen ist natürlich eine nicht einfache Angelegenheit.
Hier gibt es dann allerdings eine gewisse wissenschaftliche Kontroverse bei der Frage, ob es auch unterhalb der von der Internationalen Kommission für den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (ICNIRP) und vom Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE), also einer internationalen Vereinigung von Wissenschaftlern zur Erforschung der Auswirkung nichtionisierender Strahlung auf die menschliche Gesundheit und einem Berufsverband von Ingenieuren, Technikern, Wissenschaftlern und angrenzender Berufe, empfohlenen bzw. vorgeschlagenen Orientierungs- oder besser Richtwerten Risiken für Menschen und deren Gesundheit geben kann.
FS-Leitfaden „Elektromagnetische Felder“
Der deutsch-schweizerische Fachverband für Strahlenschutz (FS) geht zwar in seinem Leitfaden „Elektromagnetische Felder“ nicht explizit darauf ein, aber er nimmt durchaus zum Thema „nicht eindeutig nachgewiesene Effekte und Wirkungen“ Stellung [9]. Hier geht es u.a. um
- mutagene (Erbgut betreffende) und teratogene (Fehlbildungen hervorrufende) Effekte,
- Krebs,
- epidemiologische Studien,
- In-vivo- und In-vitro-Studien und
- elektromagnetische Hypersensibilität.
Bei elektromagnetischer Hypersensibilität (EHS) sind die Sorgen durchaus ernst zu nehmen, und zwar als ärztliche Pflicht.
Die Risikodiskussion
Wir müssen als Wissenschaftler, Behördenvertreter und natürlich auch als Strahlenschützer nicht alles wissen, aber Vertrauen bewirken durch unsere Mission als Strahlenschützer.
Die immer wieder gesellschaftlich erwünschte Unbedenklichkeitserklärung kann nicht geliefert werden, sehr wohl aber können bestimmte Risiken angesprochen werden. Diese sollte man aber nicht leichtfertig als Restrisiken bezeichnen, da dies individuell sehr unterschiedlich bewertet werden kann.
Weitere Betrachtungen können daher an diesem Punkt entweder ganz einfach oder aber beliebig kompliziert werden, d.h. ganz einfach dann, wenn man nur Effekte berücksichtigt, die durch Temperaturerhöhungen entstehen können, d.h. thermische Effekte, denn in diesem Fall kann man gewisse Anpassungen zur klassischen Thermodynamik und zu deren Gesetzmäßigkeiten zugrunde legen.
Fast beliebig kompliziert kann es dagegen werden, wenn sogenannte nicht thermische Effekte wie z.B. Befindlichkeitsstörungen und – natürlich nicht zuletzt – Carcinogenität (krebserregende bzw. erzeugende Wirkung), also ein krebsauslösendes Potenzial, in eine Risikodiskussion einbezogen wird.
Ohne dabei in die Tiefe eingehen zu wollen, was man allenfalls in einem Grundsatzreferat tun kann, um der Gesamtsituation einigermaßen gerecht werden zu können, soll darauf hingewiesen werden, dass es u.a. mehrere Forschungsvorhaben zur Gesamtthematik im UFO-Plan (Umweltforschungsplan des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) und des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) als Vergabebehörde) bereits gegeben hat und weitere ausgeschrieben sind.
„Vorsorge“
Soweit es die Allgemeinbevölkerung betrifft, wird man ohne die Begrifflichkeit der „Vorsorge“ wohl kaum eine Risikokommunikation führen können. Dabei gibt es keine Blaupause, also keine Vorlage oder ein Konzept, für eine Risikokommunikation beim Mobilfunk, d.h., Ergebnisse liegen nur zu vorangegangenen Studien vor und Risikokommunikation selbst hat darüber hinaus eine durchaus lange Tradition schlechthin. Sie war z.B. ein zentrales Element im vom BfS koordinierten seinerzeitigen Deutschen Mobilfunk Forschungsprogramm (DMF) und steht im öffentlichen Interesse spätestens wieder seit der Einführung des 5G-Mobilfunkstandards, da von einem Teil der Bevölkerung negative Auswirkungen auf Menschen und die Umwelt dieser neuen Mobilfunktechnologie befürchtet werden.
Dokumente als Basis einer Risikokommunikation
Zu den Dokumenten, die man bei einer Risikokommunikation heranziehen sollte, gehören z.B. die verschiedenen Stellungnahmen der deutschen Strahlenschutzkommission (SSK). Die aktuell letzte trägt den Titel „Elektromagnetische Felder des Mobilfunks im Zuge des aktuellen 5G-Netzausbaus – Technische Aspekte und biologische Wirkungen im unteren Frequenzbereich (FR1 bis ca. 7 GHz)“ [10]. Diese Stellungnahme befasst sich mit den biologischen und gesundheitlichen Aspekten von Hochfrequenzfeldern im bisher bereits intensiv für die Mobilkommunikation genutzten Frequenzbereich bis etwa 7 GHz (Frequency Range1, FR1), der auch in den jetzt aktuellen 5G-Netzen genutzt wird. Dazu werden auch ihre Auswirkungen auf die zu erwartende Hochfrequenzimmission und die Exposition der Bevölkerung beurteilt. Der Frequenzbereich oberhalb von 20 GHz (FR2) wird dann in einer weiteren Stellungnahme der SSK bewertet werden, d.h., es wird eine Beurteilung zum Stand der Forschung hinsichtlich biologischer und gesundheitlicher Auswirkungen hochfrequenter Felder in diesem Frequenzbereich vorgelegt.
Auch der Wissenschaftliche Ausschuss für Gesundheit, Umwelt- und neu aufkommende Risiken (englisch: Scientific Committee on Health, Environmental and Emerging Risks, SCHEER) ist unlängst seiner Aufgabe im Hochfrequenzbereich insofern nachgekommen, dass er eine Stellungnahme zur Notwendigkeit einer Überarbeitung der Anhänge sowohl der EU-Ratsempfehlung 1999/519/EG [8] als auch der Arbeitsschutz-Richtlinie 2013/35/EU [1] erarbeitet hat [11], d.h., es geht um die Grenzwerte, die in den jeweiligen Anhängen aufgeführt sind, und zwar in Anbetracht der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse, insbesondere der im Jahr 2020 aktualisierten ICNIRP-Guidelines [12]. Insbesondere sollen dabei die neu eingeführten dosimetrischen Größen und die Festlegung von Grenzwerten für diese Größen Berücksichtigung finden. SCHEER gilt als unabhängiger Ausschuss mit der Aufgabe, die EU-Kommission bei faktengestützten politischen Entscheidungen in den Bereichen Gesundheit, Umwelt und Verbrauchersicherheit zu unterstützen.
Fazit
Im Zusammenhang mit elektromagnetischen Feldern bei höheren Frequenzen ist keine „Revolution“ in der Sache zu erwarten. Man wird aber wohl nicht umhinkommen, die Begrifflichkeit der „Vorsorge“ noch einmal erneut anzupacken, da dies zumindest zur EU-Ratsempfehlung aus dem Jahre 1999 gehört, und zwar mit offenem Ergebnis.
Zur Risikokommunikation sind folgende Punkte besonders zu beachten:
a.) Was ist weitgehend gesichert (z.B. thermische Effekte).
b.) Die Umsetzung von Vorsorge durch weitere Forschung, und zwar unter Einbeziehung neuer Ansätze, aber nicht durch einen – wie auch immer – erstellten weiteren Divisions- bzw. Reduktionsfaktor zu Grenzwerten; dagegen aber durchaus mit Blick auf die Mitteilung der Kommission über die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips aus dem Jahre 2000 [13].
c.) Die Ethik als Referenzrahmen vorsorgebasierter Risikoregulierung, d.h. ethische Aspekte des Handelns unter Einbeziehung von Risiken und spätestens hier wird es dann u.U. noch erheblich schwieriger, wenn es um unklare Risiken geht und um die Einschätzung der Evidenz einer Risiko-Charakterisierung.
d.) Erforderlich ist die Einordnung der Begriffswelt um insbesondere
- Risikoängste,
- Evidenz und Erfahrungsberichte und
- Social Media und das Internet („die Medien“).
Dabei kommt sowohl der Politik als auch den Netzbetreibern eine hohe Verantwortung zu.
In Deutschland sind damit insbesondere befasst
- das BMUV mit dem BfS,
- die Länder und ihre Sub-Organisationen und
- auch der FS trägt hier eine Verantwortung.
Es gibt durchaus z.B. Handlungsempfehlungen für z.B. kommunale Organisationen und Strukturen, wenn es z.B. um die Errichtung eines Mobilfunkmastes (Basisstation) geht.
Ganz wichtig ist bei der Risikokommunikation immer die Fachkompetenz. Es dürfte aber schwer sein, Argumente gegen die Benutzung der Mobilfunktechnik zu finden, da sich die Menschen ihre Mobilfunkgeräte heute ohnehin nicht mehr wegnehmen lassen.
Die Literaturliste kann beim Autor nachgefragt werden.