PIANOFORTE − Europäische Partnerschaft für Strahlenschutzforschung

Die Europäische Partnerschaft für Strahlenschutzforschung PIANOFORTE hat die weitere Verbesserung des Strahlenschutzes in verschiedensten Themengebieten und die Koordinierung der europäischen Aktivitäten in Forschung, Infrastruktur und Sicherheit zum Ziel. Sie bildet mit inzwischen beinahe 100 Projektpartnern aus 22 europäischen Ländern ein breites Spektrum von strahlenschutzrelevanten Themen und Kompetenzen ab. Die Aktivitäten der Partnerschaft tragen zur Umsetzung der europäischen Politik im ­Strahlenschutz bei und sorgen für einen Wissens- und Ideenaustausch zwischen Forschung, Politik, Industrie und auch der Gesellschaft. Dies wird durch ein breites Spektrum an Maßnahmen, internationaler Zusammenarbeit und Abstimmung erreicht.

Schwerpunktthemen der Partnerschaft

Zu den Schwerpunktthemen von ­PIANOFORTE gehören beispielsweise die Bereiche

  • Medizin und Gesundheitsauswirkungen von ionisierender Strahlung,
  • der Katastrophen- und Bevölkerungsschutz,
  • die Wirkung von Strahlung auf Ökosysteme und die Umwelt oder auch
  • der berufliche Strahlenschutz im medizinischen und industriellen Bereich.

Die Aktivitäten der Partnerschaft tragen zur Umsetzung der europäischen Politik bei und sorgen für einen Wissens- und Ideenaustausch zwischen Forschung, Politik, Indus­trie und auch der Gesellschaft. Beispielsweise fördert PIANOFORTE multidisziplinäre Forschung und Innovationen im Strahlenschutz, unterstützt Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, unterstützt die gemeinsame Nutzung von Forschungsinfrastrukturen und vernetzt die relevanten Akteure.

Rahmenbedingungen von PIANOFORTE

Durch die Koordination und Integration der Forschung auf europäischer Ebene sollen Fördermittel effizient genutzt, eine Fragmentierung des Forschungsraums soll vermieden und auch die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Europa gestärkt werden.
Die Partnerschaft hat eine Laufzeit von 5 Jahren und wurde am 1. Juni 2022 gestartet. Das geschätzte Budget beträgt 45 Millionen Euro, wovon 65 % von der Europäischen Union über das EURATOM-Programm und 35 % von den Partnerländern und -regionen finanziert werden.
Das PIANOFORTE-Konsortium wird im Rahmen des Calls HORIZON-­EURATOM-2021-NRT-01 gefördert.

Ziele der Partnerschaft

Ein wesentliches Standbein zum Erreichen der Ziele der Partnerschaft sind die jährlichen Forschungsausschreibungen, welche der gesamten europäischen Forschungsgemeinschaft im Bereich des Strahlenschutzes offenstehen. Die aus den Ausschreibungen hervorgehenden Projekte leisten einen direkten Beitrag zu den übergreifenden Zielsetzungen der Partnerschaft und bieten außerdem konkrete Lösungen für die Herausforderungen der Strahlenschutzpraxis an. Da neue Teilnehmer Teil des Konsortiums werden, wächst PIANOFORTE so jedes Jahr weiter, um seine integrative Rolle in Europa wahrnehmen zu können.

Forschungsinhalte

Bei der Auswahl und Priorisierung der Forschungsthemen der Ausschreibungen wird ein besonderes Augenmerk auf die Beteiligung der „Community“ gelegt, sodass die wichtigsten und relevantesten Themen der verschiedenen Bereiche des Strahlenschutzes abgebildet sind. Ebenso wird darauf geachtet, dass die Forschungsergebnisse in konkrete Maßnahmen im Strahlenschutz umgesetzt werden oder wichtige wissenschaftliche Grundlagenfragen beantworten.
Die Partnerschaft zielt auch speziell darauf ab, Brücken zu relevanten Forschungsaktivitäten zu schlagen, die außerhalb des EURATOM-Programmbereichs (Forschungs- und Ausbildungsmaßnahmen im Nuklearbereich) liegen. Dies betrifft insbesondere den Bereich der Gesundheitsforschung in Therapie und Diagnostik, ebenso den Bereich Katastrophenschutz oder die Weltraumforschung. Daneben ist PIANOFORTE mit den internationalen Organisationen des Strahlenschutzes im Austausch, beispielsweise für die Themenbildung der Ausschreibungen oder im Wissenstransfer.
Neben den klassischen Themen im Strahlenschutz rückt PIANOFORTE auch fachübergreifende Themen und Techniken in den Fokus der Partnerschaft. Hierzu ist insbesondere die Anwendung von künstlicher Intelligenz (KI) zu nennen, die auch im Strahlenschutz eine immer prominentere Rolle einnimmt. Ein weiteres Beispiel für direkte Stakeholderorientierung sind Aktivitäten zur Protonentherapie, die von der Europäischen Investitionsbank angeregt wurden, und innerhalb von PIANOFORTE als wissenschaftliche Politikberatung und Anlaufpunkt für zentrale Sprechfähigkeit der beteiligten Organisationen organisiert wurden.
Ein Bericht zum kooperativen Ansatz auf europäischer Ebene ist als Deliverable „D3.7 – Report with the review on recommended clinical and research practices in modern proton therapy“ abrufbar.

Warum PIANOFORTE und nicht viele Einzelprojekte?

In den letzten Jahrzehnten gab es bereits einen starken Trend zur Integration der europäischen Forschung im Strahlenschutz. Dadurch haben sich im Laufe der Jahre 6 verschiedene europäische Forschungsplattformen gegründet, um gemeinsam an verschiedenen Themen im Bereich der Strahlenschutzforschung zu arbeiten:

  • MELODI (Multidisciplinary European Low Dose Initiative),
  •  EURADOS (European Radiation Dosimetry Group),
  •  EURAMED (European Alliance for Medical Radiation Protection Research),
  • NERIS (European Platform on Preparedness for Nuclear and Radiological Emergency Response and Recovery),
  • ALLIANCE (European Radioecology Alliance) und
  • SHARE (Social Sciences and Humanities in Ionising Radiation Research).

Insbesondere für die Kommission war aber erkennbar, dass es einen einheitlichen Ansprechpartner und einen Raum für die Diskussion der Synergien zwischen den Plattformen braucht. Diesem Bedarf wurde u.a. mit den Projekten OPERRA und COMET [2] im 7. EU-Forschungsrahmenprogramm (2013–2017) und schließlich mit dem gemeinsamen „European Joint Programme – CONCERT“ [3] für Strahlenschutzforschung im folgenden Rahmenprogramm Horizont 2020 (2014–2020) Rechnung getragen.

Abb. 1: Die 4 Schwerpunktthemen der Forschungsinhalte

Die europäische Strahlenschutzforschung

Durch diese Projekte und Initiativen hat die europäische Strahlenschutzforschung in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte gemacht und den Weg für einen integrierten Ansatz geebnet, der die Bereiche

  • Strahlenbiologie,
  • Strahlenepidemiologie
  • Dosimetrie und medizinischen Strahlenschutz,
  • Forschung zu Risiken bei niedrigen Dosen,
  • Notfallvorsorge und -reaktion,
  • Radioökologie sowie den
  • Beitrag der Sozial- und Geisteswissenschaften zur Umsetzung des Strahlenschutzes

zusammenführt. Dies spiegelt sich in der von allen 6 Forschungsplattformen unterzeichneten Absichtserklärung und der Schaffung der MEENAS-Dachstruktur (Consortium of European Radiation Research Platforms) [4] wider.
Vor allem im EJP CONCERT, welches vom deutschen Bundesamt für Strahlenschutz koordiniert wurde, wurden bereits die Grundlagen für die wissenschaftliche Ausrichtung von PIANOFORTE gelegt, indem eine gemeinsame Roadmap für die Strahlenschutzforschung (Forschungsagenda) unter Beteiligung aller Anspruchsgruppen entwickelt und verabschiedet wurde. Als Teil der Gesamtagenda von PIANOFORTE soll diese gemeinsame Roadmap basierend auf aktuellen gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Inputs im Laufe der Partnerschaft weiterentwickelt werden.

Struktur der Partnerschaft

PIANOFORTE ist kein klassisches Förderprojekt, sondern eine Europäische Partnerschaft (EP) [5], die Förderung der EU in Einklang mit Fördermaßnahmen der EU-Mitgliedsstaaten bringen soll.
Die Partnerschaft wird vom französischen „Institut de Radioprotection et de Sûreté Nucléaire“ (IRSN) koordiniert und umfasst 8 Arbeitspakete. Diese beinhalten sowohl themenspezifische Aufgaben wie z.B. das Konzipieren der Forschungsausschreibungen, Maßnahmen zur Ergebnisverbreitung, Training- und Kompetenzerhalt oder auch die vom BfS geleitete Aktivierung und Integration von Stakeholdern. Darüber hinaus stellen die Arbeitspakete Schnittstellen sowohl untereinander als auch zu den geförderten Forschungsprojekten und externen Stakeholdern zur Verfügung. Dies ermöglicht den Projekten einen engen Austausch mit der Partnerschaft und den Zugriff auf deren organisatorische Infrastruktur, beispielsweise im Bereich der Ergebnisverwertung und der Außendarstellung.
Neben den beteiligten wissenschaftlichen und anwendungsorientierten Organisationen sind auch die nationalen und regionalen Behörden des Strahlenschutzes in die Partnerschaft involviert. Dies geschieht vor dem Hintergrund eines besseren Austauschs zwischen den Sphären „Wissenschaft“ und „Politik“. Des Weiteren beteiligen sich die öffentlichen Partner an der Finanzierung der Partnerschaft und deren Forschungsprojekten. Von deutscher Seite beteiligen sich das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) vertreten durch das BfS, das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) vertreten durch Helmholtz-Zentrum Dresden – Rossendorf e. V. sowie das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus (SMWK).
Die Eigenheiten einer Partnerschaft ermöglichen zwar den Hebel von nationalen Ressourcen in international abgestimmte Forschungsprogramme, verkomplizieren aber gleichzeitig die Rahmenbedingungen, da heterogene nationale Strukturen reflektiert werden müssen.
Gleichzeitig erlaubt die Struktur der Partnerschaft, auch als internationaler Ansprechpartner für europäische Strahlenschutzforschung wahrgenommen zu werden, um Kontakt zu weiteren Institutionen und Organisationen aufzunehmen. Als Beispiel seien laufende Diskussionen zum Thema „Raumfahrt und Strahlenschutz“ mit ESA und NASA oder der Austausch mit weiteren Partnerschaften mit thematischem Querschnitt wie die European Partnership for Personalised Medicine (PerMed) oder die European Partnership on Metrology (EPM) genannt.
Die Breite der beteiligten Organisationen erlaubt die Durchführung von themenspezifischen Workshops wie z.B. zur Protonentherapie oder zur künstlichen Intelligenz (KI). Sowohl beim Thema Forschungsdaten als auch als eigenständiger Aufgabenteil wird innerhalb von PIANOFORTE versucht, den rapiden Fortschritt in „Maschine Learning“ und KI für Strahlenschutzzwecke nutzbar zu machen. Es bleibt aber ein Problem, dass diese Expertise oft nur siloartig zur Verfügung steht (in Teilen der Strahlenschutzforschung werden KI-Methoden schon routinehaft und seit vielen Jahren genutzt); und daher größere Anstrengungen nötig sind, die Strahlenschutzfragen präzise mit den Möglichkeiten und Limits der neuesten technischen Entwicklungen im KI-Bereich zusammenzubringen.

Offene Ausschreibungen für Forschungs- und Innovationsprojekte

Rahmenbedingungen

Während der Laufzeit der Partnerschaft wird PIANOFORTE Forschungsprojekte im Rahmen von mindestens 3 offenen Ausschreibungsrunden (Open Calls) fördern, die allen europäischen Organisationen offenstehen. Die erste Ausschreibung fand im Jahr 2023 statt, die zweite wurde im Juli 2024 geschlossen. Eine weitere ist für das Jahr 2025 geplant.
Die Projektvorschläge müssen dabei von einem Konsortium aus mindestens 3 Partnern aus mindestens 3 verschiedenen Mitgliedsstaaten eingereicht werden, sollen multidisziplinär sein und ein Budget von 1 bis 1,5 Mio. € umfassen. Diese relativ engen Rahmenbedingungen sollen eine breite Beteiligung sichern und damit auch kleineren Partnern eine erfolgreiche Teilnahme ermöglichen. Eine spezifische geografische Verteilung der Gelder ist aber nicht vorgeschrieben und auch nicht vorfestgelegt.

Auswahl und Reihenfolge der geförderten Themen

Genauso wird die Priorisierung der ausgeschriebenen Schwerpunktthemen jeweils partizipativ vorgenommen, indem alle 6 Forschungsplattformen, die öffentlichen Einrichtungen der beteiligten Mitgliedstaaten und Regionen, das Projektkuratorium (Stakeholder und Advisory Board) und eine große Gruppe externer Interessenvertreter aufgefordert werden, zu den vorgeschlagenen Themen Stellung zu nehmen.
Die Auswahl und Reihenfolge der geförderten Themen standen zum Start von PIANOFORTE noch nicht fest, sodass auf aktuelle Themen Bezug genommen werden konnte. Ein Beispiel hierfür ist das im Jahr 2023 aufgenommene Thema, in welchem der Ukrainekrieg und seine allgemeinen Folgen für den radiologischen Notfallschutz konkret behandelt wurden [7]. In der Ausschreibungsrunde 2023 wurden 24 Projektanträge eingereicht, in welchen über 100 verschiedene Organisationen vertreten waren. Nach dem Bewertungsverfahren durch ein Gremium von 16 internationalen Experten wurden 9 Projekte ausgewählt, welche sich mittlerweile in der Förderphase befinden.
Der bis zum 23. Juli 2024 geöffnete zweite Call griff ein Thema aus dem ersten Jahr erneut auf und rief zu Vorschlägen in insgesamt 4 Themen auf [8]. Die Themen für den Call 2025 werden zu einem späteren Zeitpunkt partizipativ ermittelt.

Kompetenzerhalt im europäischen Strahlenschutz

Darüber hinaus wird PIANOFORTE wie oben erwähnt durch die Arbeit der zentralen Arbeitspakete zur gemeinsamen Nutzung von Forschungsinfrastrukturen auf europäischer Ebene sowie durch Ausbildungs- und Trainingsaktivitäten zum Kompetenzerhalt im europäischen Strahlenschutz beitragen. Fachleute und Forscherinnen und Forscher, die mit ionisierender Strahlung arbeiten, müssen über angemessene und geeignete Qualifikationen und Kompetenzen im Strahlenschutz verfügen, um den sicheren Umgang mit ionisierender Strahlung in Industrie, Gesundheitswesen und Forschung zu gewährleisten. Die Kompetenzen werden im Rahmen zahlreicher Bildungs- und Ausbildungsaktivitäten vermittelt, die von PIANOFORTE und den mit MEENAS verbundenen Netzwerken unterstützt werden. Die 5 Bereiche der Förderung sind in Abb. 2 dargestellt.

Abb. 2: Die 5 Felder der Förderung im Bereich Bildung und Ausbildung

So vergibt PIANOFORTE z.B. Reisestipendien für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler und Berufseinsteigerinnen und -einsteiger zu länderübergreifenden Ausbildungszwecken, fördert Abschlussarbeiten und finanziert Kurse in verschiedenen Bereichen des Strahlenschutzes. Die Webseite [1] gibt einen Überblick über aktuelle Maßnahmen und Initiativen zur Erhaltung bestehender und Entwicklung neuer Kompetenzen im Strahlenschutz.
Weitere Organisationen oder Personen können sich als sog. „Third Parties“ an den offenen Ausschreibungen für Forschungs- und Innovationsprojekte beteiligen. Daneben gibt es Förderlinien für Reisekostenzuschüsse, Workshops, Schulungen, Nutzung von Infrastrukturen, Vernetzungsaktivitäten etc.

Danksagung

Diese Partnerschaft wird durch das Forschungs- und Innovationsprogramm „EURATOM“ der Europäischen Union im Rahmen der Finanzhilfevereinbarung 101061037 gefördert. Nationale bzw. regionale Co-Finanzierung auf deutscher Seite stammen von BMUV, BMBF und SMWK.