Der Schweizer Weg zum Tiefenlager

Eine Standortwahl nach wissenschaftlichen Kriterien, ohne dabei die Anliegen der Bevölkerung zu vergessen: Auf der Suche nach Akzeptanz erfordert die sichere Entsorgung von radioaktiven Abfällen einen langen Atem. Sie ist ein Jahrhundertprojekt.

Das Schweizer Tiefenlager

Die Nagra (Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle) plant und realisiert das Schweizer Tiefenlager. Die Gesamtverantwortung für die Standortsuche liegt beim Bund. Ein wichtiger Aspekt dabei ist die regionale Partizipation. Die Betroffenen wurden frühzeitig in das Jahrhundertprojekt miteinbezogen und können mitreden, so zum Beispiel bei der Platzierung der oberirdischen Bauten. Der beste Standort für das Tiefenlager wird dagegen einzig aufgrund von wissenschaftlichen Kriterien ermittelt. Die Sicherheit von Mensch und Umwelt hat dabei oberste Priorität.
Um sicherzugehen, dass der radioaktive Abfall Mensch und Umwelt nicht schadet, verlangt das Schweizer Gesetz, dass das Tiefenlager den Abfall eine Million Jahre lang einschließt. Zugegeben: eine schwindelerregende Zahl. Wissen wir doch oft nicht einmal, was im kommenden Jahr alles auf uns zukommt. Abgesehen davon blickt die Entsorgung von radioaktiven Abfällen weltweit auf eine komplizierte Vergangenheit zurück.
Die Forschung erzielt große Fortschritte und wir lernen ständig dazu. Trotzdem haben die Endlagerprojekte dieser Welt oftmals dasselbe Problem: Was nützen alle wissenschaftlichen Fakten, wenn sie von der breiten Bevölkerung nicht verstanden werden?

Zuhören und lernen

Das Schweizer Modell setzt auf den Dialog. Das Tiefenlager wird in einer Region gebaut, in der Menschen leben und arbeiten. Auch wenn gerade der Schutz von Mensch und Umwelt das Ziel des Tiefenlagers ist, wünscht sich niemand eines in der Nachbarschaft. Fragen und Vorbehalte, aber auch Kritik und Sorgen begleiten den Prozess. Bis zum Bau vergeht noch viel Zeit. Diese will die Nagra nutzen, um das Projekt gemeinsam mit der Region und den Kantonen weiterzuentwickeln.
In die Tat umgesetzt wurde diese Zusammenarbeit in jüngerer Vergangenheit unter anderem mit einem Infopavillon, der unmittelbar nach dem Standortvorschlag der Nagra in Betrieb genommen wurde. Er stand auf einem ehemaligen Bohrplatz in der Gemeinde Stadel im Zürcher Unterland. Hier sollen in Zukunft die Zugänge zum Tiefenlager gebaut werden. Später wurde das Provisorium durch eine feste Räumlichkeit im Dorfkern ersetzt: Seit rund einem halben Jahr ist die Nagra im sogenannten „Treffpunkt“ präsent: Bewohnerinnen, Bewohnern und anderen Interessierten wird damit das direkte Gespräch mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Nagra ermöglicht.
Der Nagra wiederum ermöglicht es der Treffpunkt, den Menschen vor Ort zuzuhören. Wo drückt der Schuh wirklich? Nur im Dialog können Lösungen gefunden werden, die das Projekt wirklich besser machen. Ganz nach dem Motto: zuhören und lernen.

Abb. 1: links: Besucherführung im Felslabor Mont Terri (Nagra), rechts: Dialog im Infopavillon (Nagra)

Partizipation – von Anfang an

Sehr wichtig im Verfahren, das vom Bund geleitet wird: die Regionalkonferenzen. Sie wurden in jeder der ursprünglich 6 Standortregionen aufgebaut und bestanden aus gut 100 Personen aus der jeweiligen Region. Die Mitglieder haben die lokalen Behörden, Interessenorganisationen, politische Parteien oder sonstige Interessierte vertreten. Die Aufgabe bestand darin, die Sicht und Anliegen der Region ins Projekt und in die Standortwahl einzubringen. Zum Beispiel wurden in Regionalkonferenzen Empfehlungen festgelegt zur Platzierung der Oberflächenanlage und zum Zugang zum Tiefenlager erarbeitet.
In den grenznahen Regionen wurden Vertreterinnen und Vertreter aus den süddeutschen Gemeinden in der Regionalkonferenz eingebunden – also direkt in der regionalen Partizipation.
Die Regionalkonferenz der vorgesehenen Standortregion – „Nördlich Lägern im Norden des Kantons Zürich“ – wird das Standortverfahren noch weiter begleiten.

So lief die Standortsuche

Die Schweiz hat sich entschieden, ihre radioaktiven Abfälle in einem geologischen Tiefenlager zu entsorgen. Im Auftrag des Bundesrates startete das Bundesamt für Energie im Jahr 2008 nach mehreren Jahren Vorbereitung die Standortsuche. Die Nagra plant und realisiert das Tiefenlager. Die Sicherheit von Mensch und Umwelt hat dabei oberste Priorität. Das heißt: Entscheidend sind die geologischen Verhältnisse im Untergrund.
Die Standortsuche begann auf einer weißen Karte der Schweiz. Schrittweise wurden die geeigneten Gebiete eingegrenzt. Übrig blieben 3 potenzielle Standortgebiete für ein Tiefenlager. Sie wurden von der Nagra in den letzten Jahren vertieft untersucht. Im Jahr 2022 machte die Nagra publik: Das Gebiet „Nördlich Lägern“ ist der beste Standort mit den größten Sicherheitsreserven.
Aktuell befindet sich das Schweizer Jahrhundertprojekt in der Bewilligungsphase. Voraussichtlich im November 2024 wird die Nagra die erforderlichen Gesuche bei den Behörden einreichen. Darin werden die groben Züge des Projekts festgelegt. Zudem muss die Nagra ihren Standortvorschlag begründen. Behörden und Expertengruppen werden die Gesuche auf Herz und Nieren prüfen.

Wie geht es weiter?

Ob die Arbeit der Nagra überzeugt, beurteilen anschließend der Bundesrat, das Parlament und, im Fall eines Referendums, das Schweizer Stimmvolk. Die Nagra macht also Vorschläge, die Politik und die Gesellschaft entscheiden. Eine allfällige Abstimmung dürfte circa im Jahr 2031 erfolgen.