Beförderung radioaktiver Stoffe – eine gesellschaftliche Herausforderung?
Die Beförderung radioaktiver Stoffe stand und steht auch heute noch im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Bilder von Demonstrationen gegen Castor-Transporte sind vielen Menschen in Erinnerung. Dabei nimmt in Deutschland die Anzahl der Beförderungen von hochradioaktiven Abfällen wie z. B. bestrahlten Brennelementen, vor dem Hintergrund des Ausstiegs Deutschlands aus der Kernenergie, seit Jahren ab [1].
Beförderung radioaktiver Stoffe nicht nur im kerntechnischen Bereich
Radioaktive Stoffe allerdings werden nicht nur im kerntechnischen Bereich, sondern auch in vielen anderen Bereichen wie beispielsweise in der Medizin, Technik und Forschung genutzt und müssen dazu befördert werden.
Die Anzahl der Beförderungen in den letztgenannten Bereichen überwiegt dabei bei Weitem die Anzahl derjenigen, die im Zusammenhang mit der Kerntechnik bzw. dem Kernbrennstoffkreislauf stehen. Eine Abschätzung zur Anzahl von Versandstücken mit radioaktiven Stoffen im Jahr 2017 ergab, dass in Deutschland mindestens 720.000 solcher Versandstücke befördert wurden [2]. Davon wurden nur 0,8 %, d. h. ca. 5.760 Versandstücke dem Bereich der Kerntechnik und dem Kernbrennstoffkreislauf zugeordnet.
Radioaktive Stoffe: Gefahrgüter der Klasse 7
Im verkehrsrechtlichen Sinne sind radioaktive Stoffe „Gefahrgüter der Klasse 7“. Wie bei allen anderen Gefahrgütern können von ihnen bei unsachgemäßer Handhabung und bei Transportunfällen Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen. Daher wurde für die Beförderung gefährlicher Güter ein internationales Regelwerk geschaffen, bei dessen Anwendung deren sicherer Transport grundsätzlich gewährleistet ist.
Internationales Regelwerk
Die internationalen Regelungen basieren auf den IAEA-Transportvorschriften [3] und den UN-Empfehlungen für den Transport gefährlicher Güter [4] mit den verkehrsträgerspezifischen Regelungen ADR (Straße), RID (Schiene), ADN (Binnenschifffahrt), IMDG-Code (Seeschifffahrt) bzw. ICAO-TI (Luft).
Regelungen in Deutschland
Diese internationalen Regelungen wurden in Deutschland durch das „Gesetz über die Beförderung gefährlicher Güter“ (GGBefG) und die erlassenen verkehrsträgerspezifischen Rechtsverordnungen (u. a. GGVSEB, GGVSee) in nationales Recht umgesetzt.
Die Beförderung radioaktiver Stoffe wird in Deutschland darüber hinaus durch atom- und strahlenschutzrechtliche Vorschriften geregelt (Atomgesetz (AtG), Strahlenschutzgesetz (StrlSchG), u. a. mittels Grenzwerten für die Exposition der Bevölkerung (u. a. effektive Dosis von 1 Millisievert pro Kalenderjahr (mSv/a)) und für beruflich exponierte Personen (u. a. effektive Dosis von 20 mSv/a und Berufslebensdosis von 400 mSv). Die Umsetzung all dieser Regelungen gewährleistet eine dem Gefährdungspotenzial entsprechende Sicherheit zum Schutz von Leben, Gesundheit und Eigentum sowohl unter Routine- (zwischenfallfrei), normalen (kleinere Zwischenfälle) bzw. Unfall-Beförderungsbedingungen.
Pflicht zur Verwendung sogenannter „sicherer Versandstücke“
Aus den vorgenannten Vorschriften ergibt sich die Pflicht zur Verwendung sogenannter „sicherer Versandstücke“ für die Beförderung radioaktiver Stoffe.
Zur Ermittlung des Gefährdungspotenzials eines zu transportierenden radioaktiven Stoffes werden Parameter wie Nuklid(e), Aktivität, spezifische Aktivität, Form und Spaltbarkeit herangezogen.
Bestimmte, sehr geringe Mengen an radioaktiven Stoffen sind aufgrund der Vorschriften für die Beförderung gefährlicher Güter nicht der Klasse 7 zuzuordnen. In allen anderen Fällen ergeben sich die Anforderungen an die Versandstücke aus einem abgestuften Ansatz. Mit zunehmendem Gefährdungspotenzial werden entsprechend Versandstücke mit allgemeinen Sicherheitsanforderungen, prüf- oder sogar zulassungspflichtige Versandstücke gefordert.
Neben den durch die Radioaktivität der Stoffe verursachten Gefahren sind stets alle weiteren möglichen Gefahren wie Entzündbarkeit, Giftigkeit oder Ätzwirkung der zu transportierenden gefährlichen Güter zu ermitteln und bei der Wahl der Verpackung entsprechend den Transportvorschriften zu berücksichtigen.
Erfahrungen eines Fahrers, der radioaktive Stoffe transportiert
Trotz der oben beschriebenen strengen Regelungen für die Beförderung radioaktiver Stoffe fühlen sich Menschen verunsichert oder ggf. in Gefahr, wenn sie Fahrzeuge mit der für radioaktive Stoffe verpflichtenden Kennzeichnung und Bezettelung (u. a. dem Strahlenwarnzeichen) sehen.
Interview: Was sagt ein Fahrer, der radioaktive Stoffe transportiert, zu seinem Job und den ggf. damit einhergehenden Gefahren?
Dazu konnte Roland Götz (s. Abb.) interviewt werden, der seit 29 Jahren radioaktive Stoffe befördert (Castor®, Großquellen, frische Brennelemente, abgebrannte Brennelemente, UF6 etc.) und derzeit bei Orano NCS GmbH tätig ist.
Abb. 1: Roland Götz, derzeit Fahrer für Orano NCS GmbH
Herr Götz, warum sind Sie als Fahrer für radioaktive Stoffe tätig?
Ich bin in diesem Bereich tätig, da diese Art von Transporten nicht mit den Fahrten normaler Speditionen vergleichbar ist. Während es bei den normalen Speditionen nur um Termindruck, gefahrene Kilometer und das Einhalten von Zeiten geht, nimmt man sich im Bereich der Klasse 7 die Zeit, die man auch benötigt, und macht lieber etwas länger bzw. langsamer, bevor sich ein Fehler einschleicht. Was unsere Transporte auch interessant macht, sind die Abwechslung bei den Einsätzen und die Möglichkeit, auch gepanzerte Sicherungsfahrzeuge zu bewegen sowie im europäischen Ausland Erfahrungen zu sammeln. Bei der Orano NCS GmbH fühle ich mich jederzeit informiert, umsorgt und involviert. Diese Eingebundenheit in Vorgänge sorgt für Transparenz und steigert mein Sicherheitsempfinden.
Haben Sie irgendwelche Ängste und falls nicht, warum nicht?
Aufgrund der vielen Schulungen und Erfahrungen habe ich keine Ängste, die Transporte durchzuführen. Die Verhaltensregeln (3 A Regel: Abstand, Aufenthaltsdauer, Abschirmung) und Vorgaben (Anweisungen, Checklisten) meiner Firma runden das Tätigkeitsbild ab und mit den Messungen durch den Strahlenschutz vor Ort mache ich mir keine Sorgen um eine sichere Durchführung der Transporte.
Gab es während der Transporte schon einmal irgendwelche Vorkommnisse und falls ja, wie haben Sie sich in der Situation gefühlt?
Während meiner Tätigkeiten gab es keine Vorfälle, die einen Einfluss auf die Sicherheit oder meine Gesundheit hatten. Die Auswertung meiner amtlichen und nicht amtlichen Dosimeter bestätigt jedes Mal wieder, dass selbst bei vermeintlich hohen Aktivitäten, die ich transportiere, keine bzw. nur eine sehr geringe Dosis von 0,1 mSv/Monat aufläuft und sich damit weit von dem gesetzlichen Grenzwert für beruflich exponierte Personen der Kategorie B von 6 mSv/a befindet.
Ist der Job in Ihrem persönlichen Umfeld akzeptiert?
Mein Job wird von meiner Familie und meinem Bekanntenkreis akzeptiert. Bei Fragen zu meinen Transporten bzw. zu möglichen gesundheitlichen Folgen verweise ich auf die strengen Auflagen, Überwachungen und Regularien, mit denen ich mich sehr sicher fühle. Das Schöne an den Transporten ist, dass aufgrund von Vorerfahrungen und bereits durchgeführten Transporten schon im Vorfeld Schutzmaßnahmen erlassen werden und man sich jederzeit sicher fühlt.
Wie gehen Sie damit um, wenn jemand sich zu Ihrem Job kritisch äußert?
Bei kritischen Fragen bin ich sehr zurückhaltend, da diese Personen meist ideologisiert sind und selbst mit richtig guten Argumenten und Messwerten, wie z. B. den hier genannten Dosiswerten, nicht zu überzeugen sind. Solche Personen hören nur, was sie hören wollen, und ignorieren anderweitige Meinungen aus erster Hand.
Dosiswerte für Roland Götz
In den Jahren seit Dezember 2006 hat Roland Götz als beruflich exponierte Person der Kategorie B (1 mSv/a < effektive Dosis = 6 mSv/a, s. § 71 StrlSchV) insgesamt eine effektive Dosis von 2,1 mSv erhalten. Die höchste in einem Monat ermittelte Dosis betrug 0,2 mSv. Von der nach Strahlenschutzrecht für einen Zeitraum von 17 Jahren maximal zulässigen effektiven Dosis von 102 mSv als beruflich exponierte Person der Kategorie B hat er somit rund 2 % erhalten.
Analysen zu Vorkommnissen bei der Beförderung radioaktiver Stoffe
Das hohe Sicherheitsniveau bei der Beförderung radioaktiver Stoffe spiegelt sich auch in Analysen zu Vorkommnissen bei der Beförderung wider. Die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) gGmbH führt im Rahmen von Forschungsvorhaben regelmäßig solche Analysen zur Transportsicherheit durch, die durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) finanziert werden (s. GRS Bericht [5]).
In diesen Analysen werden u. a. verkehrsträgerübergreifend Vorkommnisse bei der Beförderung radioaktiver Stoffe auf öffentlichen Verkehrswegen erfasst und hinsichtlich ihrer sicherheitstechnischen Bedeutung bewertet. Ziel der Analysen ist der Gewinn von Erkenntnissen, die für eine weitere Verbesserung des Sicherheitsniveaus beim Transport von radioaktiven Stoffen genutzt werden können.
Ergebnisse
Bei den seit Mitte der 1990er-Jahre bis zum Jahr 2022 durchgeführten Analysen wurden insgesamt 1.118 Vorkommnisse beim Transport von radioaktiven Stoffen identifiziert und erfasst.
Eine Aufschlüsselung der insgesamt erfassten beförderungsspezifischen Vorkommnisse nach der Art des gemeldeten Ereignisses zeigt Abb. 2. Sie umfasst insgesamt 10 verschiedene Ereignistypen. Bei diesen 1.118 erfassten Vorkommnissen kam es nur bei 3 Vorkommnissen zu einer geringen Exposition des Personals (deutlich unterhalb des Grenzwertes für beruflich exponierte Personen von 20 mSv/a) und bei 1 Vorkommnis möglicherweise zu Expositionen von 10 Personen der Bevölkerung, die über dem Grenzwert für die Bevölkerung von 1 mSv/a lagen.
Abb. 2: Vorkommnisse bei der Beförderung im Zeitraum 1995 bis 2022 aufgeschlüsselt nach Ereignistyp (aus [15])
Verzögerungen oder Ablehnungen der Beförderungen
Trotz des klar definierten Rechtsrahmens und der sehr geringen Rate an schwerwiegenden Vorkommnissen bei Beförderungen radioaktiver Stoffe kommt es insbesondere bei internationalen Beförderungen häufig zu Verzögerungen oder Ablehnungen der Beförderungen.
Gründe dafür sind teils ideologischer Natur, teils aber auch mit Unkenntnis begründete übertriebene Anforderungen, welche aus technischer und auch aus wirtschaftlicher Sicht grundsätzlich erforderliche Beförderungen verhindern. Dadurch sind auch die Auswahl und Zuverlässigkeit von Transportrouten sowie die Planbarkeit von Transporten stark beeinflusst.
Beeinträchtigungen bei nachgelagerten Prozessen
Die Behinderung der Transporte wiederum führt beispielsweise zu Beeinträchtigungen bei nachgelagerten Prozessen bzw. Tätigkeiten z. B. in Industrie, Medizin und Forschung, die uns alle betreffen können:
- Verzögerungen oder Wegfall von medizinischen Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten (beim Einsatz radioaktiver Stoffe bei bildgebenden Verfahren und in der Strahlentherapie mit Radionukliden)
- Engpässe bei sterilen medizinischen Produkten (beim Einsatz radioaktiver Stoffe bei Produktbestrahlungen für Sterilisationszwecke)
- Transporte von Erzen, die Grundrohstoffe wie z. B. Tantal (Ta) enthalten, die für die Chip-Herstellung, für medizinische Implantate und weitere Hightechanwendungen zwingend benötigt werden
- Ablehnung von Proben für Forschungszwecke auf dem internationalen Paketkanal führt zur Behinderung, Verzögerung und Verteuerung von Forschungsprojekten
IAEA – Arbeitsgruppe „Denial of Shipment Working Group, DoS WG“
Treten Verzögerungen oder Ablehnungen beim Versand radioaktiver Stoffe auf, obwohl die Sendung allen anzuwendenden Vorschriften für die Beförderung gefährlicher Güter entspricht, spricht man von „Denial of Shipment (DoS)“.
Um die DoS-Problematik zu lösen bzw. die Anzahl der DoS deutlich zu minimieren, hat die IAEA die Arbeitsgruppe „Denial of Shipment Working Group, DoS WG“ gegründet und für einen Zeitrahmen von 4 Jahren (2023 bis 2026) beauftragt, Maßnahmen für den Umgang bei Ablehnungen und Verzögerungen, die bei der Beförderung von radioaktiven Stoffen auftreten, auszuarbeiten. Dies schließt einen Verhaltenskodex zur Sicherstellung der Durchführbarkeit von Beförderungen ein. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sollen dann von den Mitgliedsstaaten der IAEA umgesetzt werden.
Die DoS WG der IAEA hat im Rahmen der 67. General Conference der IAEA u. a. einige Empfehlungen herausgegeben, wie z. B. nationale zentrale Anlaufstellen („National Focal Points (NFP)“), zu benennen, die im Falle von DoS für Empfehlungen bzw. zur Information kontaktiert werden können.
Nächste Schritte der Arbeitsgruppe sind, weitere Umfragen zu DoS durchzuführen und die Ergebnisse dieser Umfragen zu analysieren, den Aufbau von NFP-Netzwerken mit Tools und einer Webpage zu unterstützen, weitere Lösungen und Routen für die Beförderung auszuarbeiten sowie Schulungs- und Trainingsmaterial zu erarbeiten und bereitzustellen.
Fazit
Die Beförderung von radioaktiven Stoffen in Deutschland und auf internationaler Ebene erfüllt höchste Sicherheitsstandards, bleibt aber dennoch eine gesellschaftliche Herausforderung, insbesondere in Hinblick auf eine Akzeptanzverbesserung in der Bevölkerung, da radioaktive Stoffe in Medizin, Forschung und Industrie vielfältig und in großer Zahl nutzbringend und unverzichtbar eingesetzt werden.
Dank
Für die Erstellung des Artikels geht ein großes Dankeschön an die Arbeitsgruppe des FS-Arbeitskreises Beförderung (AKB) und an die Firma Orano NCS für ihre Zuarbeit.
Quellen:
[1] http://www.base.bund.de/DE/themen/ne/transporte/fakten/fakten.html
[2] A. Filby, A. Günther: Neuerhebung der Anzahl der beförderten Versandstücke pro Jahr –Abschlussbericht zu AP 4. Gesellschaft für Anlagen und Reaktorsicherheit (GRS) mbH, GRS-604, http://www.grs.de/sites/default/files/publications/grs-604.pdf ,September 2020.
[3] International Atomic Energy Agency (IAEA): Regulations for the Safe Transport of Radioactive Material 2018 Edition, Rev. 1. IAEA Safety Standards Series, SSR-6, 190 S.: Vienna, 2018.
[4] United Nations (UN): Recommendations on the Transport of Dangerous Goods, Model Regulations Volume I, Twenty-second revised edition. New York and Geneva, 2021.
[5] A. Günther: Bewertung von Vorkommnissen beim Transport radioaktiver Stoffe, Abschlussbericht zum Vorhaben 4720E03300, AP 5. Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) mbH, GRS-737, http://www.grs.de/sites/default/files/2024-02/GRS-737.pdf, Juni 2023.